Marcel Proust im Medium Film
DIE WIEDERGEFUNDENE ZEIT
Das Werk von Marcel Proust galt lange als unverfilmbar. Dies ist der Gegenbeweis. Auf Klatsch und Tratsch verstand er sich so gut wie kein Zweiter. Und nur seine Lust am Fabulieren war größer. Heute werden die Amouren und Skandale der High Society von der Regenbogenpresse abgehandelt, bei Marcel Proust landeten sie, zu hoher Literatur veredelt, zwischen zwei Buchdeckeln, die den Titel »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit« unsterblich machten. Wobei zwei Buchdeckel stark untertrieben ist: Sein autobiografisches Epos, mehrere tausend Seiten dick, erschien als mehrbändiger Romanzyklus. Diesen fürs Kino zu adaptieren, scheiterte bislang entweder schon im Vorfeld – wie bei Visconti und Losey. Raoul Ruiz hingegen wagt auf der Leinwand, was Proust auf Papier zu höchster Vollendung brachte: keine stringente Geschichte zu erzählen, sondern Erinnerungen und assoziative Gedankengänge so flüssig zu verweben, dass ein einzigartiges Gesellschaftsportrait entsteht. Dabei dient ihm Prousts letzter Band »Die wiedergefundene Zeit« als Bühne, auf der melancholische, zickige Damen (u. a. Emmanuelle Béart und Catherine Deneuve) und homosexuelle Dandys (brillant: John Malkovich) paradieren. Lang, doch nur selten langatmig, erstklassig besetzt und vom ersten bis zum letzten Bild eine Augenweide, verhilft Ruiz’ Film dem cineastischen Stilmittel der Rückblende zur Ehrenrettung: Als wäre sie in erster Linie erfunden worden, um Proust im Kino gerecht zu werden. (cinema.de).
Mit »Die wiedergefundene Zeit« wagt Regisseur Raoul Ruiz sich an einen Roman, an dem schon viele gescheitert sind, den letzten Teil von Prousts Lebenswerk »Auf der Suche nach der verlorenen Zeit«. In Ellipsen und verschiedenen bruchstückhaften Erzählsträngen geht es um den menschlichen Kampf gegen die Zeit, um Erinnerung und Sterblichkeit. Aber auch um den Machtkampf zwischen Adel und Bürgertum, um Ignoranz, Laster und Intrigen. Ich-Erzähler Marcel führt in unwiderstehlich erhabener Sprache durch seine Erinnerungen und weist mit seiner Herkunft, sexuellen Orientierung und seinem Gemüt Parallelen zum Autor Marcel Proust auf. (ard.de).
LE TEMPS RETROUVEF/I/P 1998, R: Raúl Ruiz, B: Gilles Taurand, Raúl Ruiz, Vorlage: Marcel Proust, K: Ricardo Aronovich. M: Jorge Arriagada, Sch: Denise de Casabianca, D: Catherine Deneuve, Emmanuelle Béart, John Malkovich, Pascal Greggory, Ingrid Caven, 162 Min, FSK: 12, OmU
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Französische Literaturwissenschaft an der Universität des Saarlandes